Ich liebte Herrn Linnenk...
So heißt er zwar nicht, sondern nur der Laden, den er damals von den beiden alten Schwestern übernommen hatte, aber ich nannte ihn so, weil ich eben diesen Laden liebte und den Namen seines neuen Besitzers ja nicht kannte.
Jedenfalls kam er mir immer vor wie der rechtmäßige Erbe dieses Geschäfts aus Zeiten, in denen sich so etwas noch Kolonialwarenhandlung schimpfte. Ich kaufte dort Tee und Kaffee, Schokoladen und Ingwer, Kandis und Kekse und die passenden Dosen dafür. Es gab auch Whiskey, Cognac, Sherry und dergleichen, alles von Feinsten, wie übrigens das gesamte altehrwürdige Interieur. Und Herr K. bewegte sich in diesen seinen Schätzen wie ein Gastgeber, und abends, kurz vor Ladenschluss, wenn er noch ein bisschen auf- und einräumte, wagte sich auch schon mal sein Hund hinter dem dicken Vorhang hervor, der die Privat- von den Geschäftsräumen trennt. So weit, so schön.
Es ist vielleicht drei Wochen her, dass ich dort wieder erschien. Ich fragte nach Earl Grey und wünschte ausdrücklich Darjeeling, nachdem mir seine Angestellte irgendwann mal den auf Ceylon-Basis verkauft hatte. Gab's nicht, sei aber geordert. Dann würde ich mir bis dahin mit Orangenblüten-Tee behelfen, ein Viertelpfund bitte. Auch ausgegangen, vielleicht den mit Orangenstückchen? Eher nicht. Ich kaufte schließlich Jasmin-Tee und vergewisserte mich nochmal der Öffnungszeiten, weil ich nur selten in diesen Teil der Stadt komme - und stand eine Woche später vor verschlossener Tür.
Am folgenden Samstag kam ich dazu, wie er eine ältere Kundin bediente, diese gekonnt in ein Gespräch verwickelte und - um die verlangten 500 Gramm zu erreichen - die Dose umdrehte und den letzten Rest, also auch den Teestaub mit in die Tüte schüttete. Es kam mir nun auch so vor, als wäre der früher üppig bestückte Laden mehr aus- als aufgeräumt. Was soll ich sagen, es gab wieder keinen Earl Grey, auch keinen Orangenblüten-Tee und auch nichts mit echter Vanille. Aller guten Dinge seien zwar drei, aber ich möge eine vierte Sorte benennen und wenn er auch diese nicht dahätte, wäre es ein Zeichen, dass ich für Lotto oder ein anderes Glücksspiel ein gutes Händchen hätte. Ich fragte nach Lapsang Souchong. Fehlanzeige.
Auf die verschlossene Tür am vergangenen Mittwoch angesprochen, erklärte er, dem Hund sei es schlecht gegangen, er habe mit ihm zum Tierarzt gemusst. Er lächelte gequält (andere Kunden hatten mittlerweile das Etablissement betreten) und bat mich, auf Kosten des Hauses einen fünften Versuch zu wagen: Rosenblüten-Tee. Leider musste ich später feststellen, dass das Tütchen etwas anderes, übel künstlich, fast weihnachtlich Duftendes enthielt. Ich rief ihn an: Sorry, ein Irrtum, die Dose habe direkt neben dem Rosentee gestanden, ich könne selbstverständlich umtauschen ...
Doch, einen weiteren (letzten) Versuch habe ich mir angetan. Aus alter Liebe oder so. Diesmal war die junge Dame hinter der Verkaufstheke. Meinen Rosentee habe ich bekommen, Earl Grey war wieder oder immer noch nicht vorrätig. Wenn mir der auf Ceylon-Basis zu intensiv sei in der Parfümierung, könne man ihn einfach mit einer neutraleren Sorte mischen. Jetzt war es an mir, gequält zu lächeln. Nein, räumte sie ein, zu Darjeeling mache ihn das allerdings nicht.
Auf Wiedersehen, sagte ich freundlich, und schönen Gruß an Herrn K.
Ja, traurig. Und demnächst bestelle ich wohl auch meinen Tee im Internet.